Der Name der Rose
von Umberto Eco; aus dem Italienischen übersetzt von Burkhart Kroeber
Hanser Verlag, 655 S., 26,00 €; DTV, 688 S., 11,90 € (Taschenbuch)
„Ich hatte den Drang, einen Mönch zu vergiften,“ beschrieb Umberto Eco die Motivation, seinen ersten Roman Der Name der Rose zu schreiben.* Herausgekommen ist dabei eine vielschichtige Erzählung, die man ohne weiteres (und mit einigem Vergnügen) als einen Kriminalroman in englischer Tradition lesen kann.
Auffällig sind dabei die Bezüge zu den Sherlock Holmes-Geschichten: Das beginnt beim Namen des Detektivs – William von Baskerville – und reicht über seine „physische Erscheinung“ – er ist ein großer, hagerer Mann mit scharfen Augen und gebogener Nase – bis hin zu seinem Charakter – der als entschlossen, mit gelegentlichem Hang zur Lethargie beschrieben wird; auch Williams Methode, die Eco sehr treffend als ein Deuten von Zeichen und Lesen von Spuren beschreibt, kommt einem aus den Holmes-Geschichten bekannt vor, ebenso wie die Vorstellung dieser Methode zu Beginn der Romans.**
Und natürlich hat Umberto Eco seinem Holmes einen Dr. Watson als treuen Adlatus und Erzähler beigegeben: Auch Adson kapiert stets eine Spur langsamer als der durchschnittliche Leser; und so muss William ihm – und damit dem Leser – sein Handeln immer wieder erklären.
An dieser Stelle variiert Eco das Schema allerdings ein wenig: Denn der erzählende alte Adson ist von seinem erzählten, jüngeren Ich durch ein ganzes Menschenleben getrennt. Doch in vielerlei Hinsicht ist der alte Adson nicht klüger geworden. Er ist ein einfacher Mönch geblieben und hat keine wissenschaftlichen Ambitionen entwickelt. Während er seine Geschichte, als eine Art Lebensbeichte, zu Papier bringt, sieht in seinem heimatlichen Kloster in Melk dem Ende seines Lebens entgegen.
Immer wieder scheint die Persönlichkeit des alten Adson im Text durch, ganz besonders gegen Ende des Buches, wenn er mitteilt dass er William noch immer in seine Abendgebete einschließt, weil er hofft: Gott möge seinem alten Meister „die vielen Akte der Hoffart vergeben haben, die sein stolzer Geist ihn hatte begehen lassen.“
„Wer erzählen will, muss sich zunächst eine Welt erschaffen, eine möglichst reich ausstaffierte, bis hin zu den letzten Details,“ denn – so meint Eco – wenn man einmal die Welt errichtet hat, kommen die Worte von ganz allein; und so ist das von Eco konstruierte Mittelalter oft sehr liebevoll und detailreich gestaltet.
Viele Einzelheiten ergaben sich aber auch aus der Eigenart der zu erzählenden Geschichte: So wissen wir, dass der Roman im November 1327 spielt; diese Datierung war zwingend, weil der Roman vor dem Hintergrund eines Disputes zwischen päpstlichen Legaten und Vertretern des Franziskaner-Ordens stattfinden sollte; deren Ordensoberer Michael von Cesena war aber im Dezember 1327 bereits beim Papst in Avignion; umgekehrt hätte der Roman auch nicht früher spielen können, weil es für einen Mord erforderlich war, dass ein großer Trog mit dem Blut frisch geschlachteter Schweine aufgestellt werden konnte – und dafür musste es ausreichend kalt sein, was im November eigentlich noch gar nicht der Fall war.
Bei aller Liebe zum Detail und bei aller Kenntnis Ecos über das Mittelalter – er sagte einmal: „die Gegenwart kenne ich nur aus dem Fernsehen, über das Mittelalter habe ich Kenntnis aus erster Hand.“ – muss die Leser:in sich aber stets klar machen: Ecos Roman ist keine mittelalterliche Erzählung, es ist Ecos Vorstellung des Mittelalters. Die erzählte Geschichte hätte vielleicht im Mittelalter so stattfinden können – und Eco nimmt das Mittelalter im Roman ernst, weil „alle Problem des modernen Europa, wie wir es kennen, im Mittelalter entstanden sind;“ aber trotzdem ist der Roman als ganzes ein modernes Werk, in dem die Leser:in des 20. und 21. Jahrhunderts Zeichen finden wird, mit denen weder William, noch Adson oder sonst eine Romanfigur etwas anfangen kann.
Denn wie bei einem Palimpsest die abgeschabten Schriftzeichen manchmal noch zu erkennen sind, ist auch durch die Romanhandlung hindurch Ecos wissenschaftliche Arbeit als Professor der Semiotik – der Wissenschaft der Zeichen – zu erkennen.
Zeichen können „alle Aspekte der Kultur und des sozialen Lebens“ sein; aber nur, „wenn es von einem Interpreten als Zeichen von etwas angesehen wird.“*** Das Zeichen setzt einen Akt des Erkennens beim Zeichendeuter – das ist jeder von uns ständig – voraus; und dieses Erkennen wird durch die jeweilige Sicht auf die Welt gesteuert.****
Im Roman lässt Eco zwei konträre Weltsichten aufeinander prallen: Da ist zum einen die mittelalterliche Weltsicht der Mönche und des Abtes, für die die Taten den Beginn der Apokalypse, das Ende der Welt also, ankündigen. Deswegen ist für die spirituell verängstigten Mönche auch die von Inquisitor Bernard Gui gelieferte Erklärung für die Morde sehr bequem: Er erklärt sie mit Ketzerei und Hexenwerk in der Abtei.
Bernard wiederum – als Teil der päpstlichen Delegation – verfolgt damit auch seine eigene Agenda: Denn tatsächlich ist das Auftauchen einer Hexe und zweier Mönche mit ketzerischer Vergangenheit ein idealer Anlass, den Disput mit den Franziskanern platzen zu lassen – denn das Ziel der päpstlichen Legaten scheint es zu sein, die Franziskaner selbst zu Ketzern zu erklären.
Auf der anderen Seite steht William, für den die Taten in der Abtei kein Teufelswerk sind – sondern Verbrechen, die es mit allem ihm zu Gebote stehenden Scharfsinn aufzuklären gilt. Da er den Antichristen als Erklärung von Anfang an ausschließt sucht William auch nur Zeichen für einen menschlichen Täter.
Das Verhalten der Mönche dagegen ist für William vor allem ein Zeichen für ihren Aberglauben, aber auch die ihre Verführbarkeit durch Menschen wie Bernard Gui, die einfachen Erklärungen anbieten, die in ihr Weltbild passen.
Die spirituell verunsicherten Mönche unterscheiden sich in diesem Punkt wenig von anderen einfachen Leuten, wenn auch deren Verunsicherung eher soziale oder ökonomische Gründe haben mag; beide können nicht frei wählen, wem sie folgen, wie William sehr genau weiß: „Die einfachen Leute […] können sich ihre Häresie nicht aussuchen, sie halten sich immer an den, der gerade in ihrer Gegend predigt, der durch ihr Dorf kommt oder auf ihren Plätzen spricht.“ – Der Unterschied zwischen Bernard und anderen Verführern ist nur, dass hinter ihm die Macht und Autorität des Papstes steht. – Ist der Unterschied zwischen Orthodoxie und Ketzerei in einer dogmatischen System womöglich nur, dass hinter der Orthodoxie die Macht steht – und sie diejenigen zu Ketzern erklären kann, die ihr gefährlich werden?
Für das ganze dogmatische Spiel von Orthodoxie und Ketzerei gibt es jedoch einen viel gefährlicheren Gegner: Die Vernunft – oder sagen wir lieber, das Streben des Menschen nach echter Erkenntnis jenseits des Dogmas. Nun ist dieses Streben harmlos, so lange es der kirchlichen Orthodoxie gelingt, den Menschen weiterhin weiß zu machen: Sie hätten ewige Verdammnis zu fürchten, wenn Sie vom rechten Glauben abfallen.
Deswegen ist der Mörder auch bedacht darauf, die Entdeckung eines bestimmten Aristoteles Bandes zu verhindern, in dem es um die Technik der Komödie geht; er befürchtet: Mit der Autorität des Philosophen im Rücken wäre es den Gebildeten möglich, „die Kunst des Lachens zur schneidenden Waffe zu schmieden“ gegen die weltlichen Autoritäten – und vor allem gegen die Kirche.
Erstaunlicher als die Person des Mörders – es ist der alte Jorge von Burgos – ist die Tatsache, dass jener blinde Greis, der es liebt seine Mitbrüder mit inbrünstig vorgetragenen Szenen aus der Apokalypse zu ängstigen, neben William die zweite moderne Figur des Romans ist; denn Jorge weiß genau, dass der Teufel und die Furcht vor ihm nicht weiter ist als ein Schreckgespenst ist, geschaffen und erhalten von der Kirche, dabei unterstützt von weltlichen Herrschern, mit dem Ziel das einfache Volk mit der Angst vor ihm zu unterdrücken; um diese Tyrannei zu erhalten geht Jorge über Leichen.
Gerade die Inszenierung der Morde nach den einzelnen Tagen der Apokalypse zeigt, wie virtuos Jorge mit der Angst und der Borniertheit seiner Mitbrüder zu spielen versteht – und wie perfekt er das durch seine Autorität im Kloster zu unterstreichen versteht. Im Grunde weiß Jorge selbst, wie brüchig die Ordnung ist, die er verteidigt.
Tatsächlich ist der Roman an dieser Stelle eben nicht „so herrlich frei von allen Bezügen zur Gegenwart,“ sondern ganz im Gegenteil aktueller als Eco es vor vier Jahrzehnten hoffen durfte: Denn immer noch ist die Annahme falsch, dass „das Erwachen der Vernunft alle jene Monster vertrieben hat, die ihr Schlaf einst zeugte.“
Gerade in unserer Zeit können wir sehen, was Eco vermutlich auch schon gegen Ende der 70er Jahr des vorigen Jahrhunderts sah: Die Vernunft scheint oft müde geworden zu sein und manchmal schläft sie ganz ein.
Der Roman zeigt, dass es das Lachen ist, das die Vernunft wach halten oder wieder aufwecken kann, damit uns nicht mehr die Nachtmähren ihres Schlafes plagen, sondern wir vielmehr mit frischem Mut die Probleme unserer Zeit angehen und lösen können.
Deswegen sollten wir das Lachen zu einer scharfen Waffe schmieden und sie blank ziehen, wann immer es erforderlich ist; Irrwichte verscheucht man, indem man schallend über sie lacht:***** So lasst uns lachen über die virtuosen der Angst, lasst uns lachen über die falschen Autoritäten, lasst uns lachen über die lächerliche Dogmatiker – denn wir wissen: Sie fürchten nichts mehr, als unser Gelächter.
Anmerkungen
Das Bild zu diesem Beitrag stammt aus den Wikimedia Commons und wurde dort unter einer Creative Commons-Lizenz als gemeinfrei veröffentlicht; die genaue Bildquelle findest du [hier].
* Dieses Zitat stammt aus der Nachschrift zum ‚Namen der Rose‘ von Umberto Eco; soweit in diesem Text bei Zitaten keine Quelle angegeben werden stammen Sie entweder aus der Nachschrift oder dem Roman selbst.
** Gemeint ist die Brunellus-Episode.
*** Dieses Zitat stammt – ebenso wie das vorige – aus dem Buch Zeichen – Einführung in einen Begriff und seine Geschichte von Umberto Eco.
**** Deswegen hat Antoine de Saint-Exupéry auch nicht ganz recht, wenn er in seinem Buch Wind, Sand und Sterne schreibt: „Die Erfahrung lehrt uns, dass Liebe nicht darin besteht, dass man einander ansieht, sondern dass man gemeinsam in die gleiche Richtung blickt.“ – Es wäre der Liebe gewiss zuträglich, wenn man dabei auch zumindest etwas ähnliches sieht.
***** „Riddikulus!“ – vgl. Harry Potter and the Prisoner of Azkaban von J.K. Rowling.