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Gesellschaft & Politik

Die Menschen hinter den Verschwörungen

Fake Facts – Wie Verschwörungstheorien unser Denken bestimmen
von Katharina Nocun und Pia Lamberty
Quadriga Verlag, 348 S., 19,90 €

Verschwörungstheorien sind für Katharina Nocun und Pia Lamberty keine harmlose Spinnerei, sondern sie verursachen reales Leid; in Ihrem Buch Fake Facts – Wie Verschwörungstheorien unser Denken bestimmen zeigen sie, wie bedingungslose Verschwörungsglaube Freundschaften und Familienbande zerstören, Menschen zu Grunde richten und umbringen kann.
So erzählen die Autorinnen zum Beispiel von einem Gespräch mit dem polnisch-stämmigen Berliner Ehepaar Kwiatkowski: Das war mit einem ebenfalls aus Polen stammenden Ehepaar befreundet, das nach dem Flugzeugabsturz von Smolensk im Jahr 2010 trotz aller gegenteiligen Beweise an ein russisches Attentat glauben wollte. Im Laufe der Zeit schnappten die Freunde weitere Verschwörungstheorien auf und neigten zu immer radikaleren Ansichten. Am Ende brach das Ehepaar Kwiatkowski den Kontakt zu den Freunden ab, weil sie diese Entwicklung der Freund nicht mehr ertrugen.
Deswegen schlagen die Autorinnen vor, den Begriff „Verschwörungstheorie“ durch den Begriff „Verschwörungserzählung“ zu ersetzen. Denn die Bezeichnung als „Theorie“ werte verrückte Ideen zu wissenschaftlichen Theorien auf.
Meiner Meinung nach greift das ein bisschen kurz, denn oft kann derjenige, dem eine Theorie zuerst vorgetragen wird, gar nicht beurteilen, ob sie zur Beschreibung der Realität taugt oder nicht. Die Unterscheidung von ernsthafter Theorie und verrückter Idee kann ein recht langwieriger Prozess sein – und so setzt sich beispielsweise der britische Historiker Richard J. Evans auch acht Jahrzehnte nach dem Ende des Nationalsozialismus mit The Hitler Conspirancies auseinander.1
Außerdem halten Nocun und Lamberty den Begriff „Verschwörungstheorie“ für unzutreffend, weil eine Theorie eine widerlegbare Annahme über die Welt sei. Ein problematisches Argument, denn Verschwörungstheorien sind Annahmen über die Welt – und sie sind oft nicht nur widerlegbar, sondern längst widerlegt. Die wirklich interessante Frage wäre, warum die Suggestionskraft einer Verschwörungstheorie mit ihrer Widerlegung nicht nachlässt.

Für Verschwörungsgläubige hat die Widerlegung keine Bedeutung; denn sie nur nach Fakten, die ihre Theorie stützen. Gegenargumente werden entweder in die Theorie integriert oder für irrelevant erklärt.
Allerdings ist dieses Verhalten keine Spezialität der Verschwörungsgläubigen; Nocun und Lamberty weisen darauf hin: „verzerrtes Denken ist der Standardmodus unserer Informationsverarbeitung.“ – Mit anderen Worten: Die menschliche Wahrnehmung ist subjektiv und Menschen sind wenig offen für Fakten, die nicht in ihr Weltbild passen oder sie gar zwingen, dieses zu verändern.2
Nur beantwortet das bestenfalls die Frage, warum Menschen von ihrem Verschwörungsglauben nicht abgehen, jedoch nicht die Frage, warum Menschen überhaupt zu Verschwörungsgläubigen werden, und auch nicht die Frage, warum Verschwörungstheorien so gut im Hirn haften bleiben. Die zweite Frage beantworten Nocun und Lamberty nicht; aber es könnte zum Beispiel daran liegen, dass unser Gehirn besser darin ist, Zusammenhänge zu behalten, selbst wenn sich diese später als falsch herausstellen.
Die erste Frage versuchen Nocun und Lamberty damit zu beantworten, dass Menschen Verschwörungstheorien benutzen um Komplexität zu reduzieren, gerade in unübersichtlichen und krisenhaften Situationen;3 dieses Argument erklärt aber nicht hinreichend, wieso manche Menschen zu Verschwörungsgläubigen werden – und andere nicht. Könnte es nicht sein, dass es ein Bedürfnis gibt, dass Verschwörungstheorien befriedigen? – Hier könnte das Bedürfnis in Frage kommen, die Macht des Zufalls zu reduzieren; denn ist es nicht besser Opfer von berechenbaren Verschwörern zu sein, als Opfer des unberechenbaren Zufalls?4
Genau dieses Bedürfnis könnte es auch sein, das Verschwörungsgläubige mit Esoterikern verbindet; nämlich der Glaube, das zum Beipiel Erkrankungen nicht schicksalhaft sind, sondern auf einem (im Falle der Esotreik: spirituellen) Fehlverhalten des Erkrankten beruhen.5 Die Esoterik verspricht Abhilfe und Heilung, indem sie diese Fehler ausbügelt.
So besuchen die Autorinnen eine Esoterik Messe in Berlin-Wilmersdorf: Dort gibt es rosa Steine zu kaufen („Das hilft ausgezeichnet bei Krebs.“) und energetisch behandelte Kuscheltiere („Die sollen unter anderem gegen Hyperaktivität und Depression helfen.“) – natürlich zu horrenden Preisen.
Zum Angebot der Messe gehören auch Vorträge – und tatsächlich: Der von den Autorinnen angehörte Vortrag zu den „Gefahren des Impfens“ entpuppt sich schnell als randvoll mit (teilweise rechten) Verschwörungstheorien.
Daraus leiten Nocun und Lamberty ab, dass der Glaube an esoterische Praktiken der Einstieg in den Verschwörungsglauben sein können. Bei mir bleiben Zweifel: Natürlich sind Esoteriker häufig auch Verschwörungsgläubige, aber das könnte sich auch einfach aus der Ähnlichkeit des durch den Glauben befriedigten Bedürfnis – insbesondere nach Ausschaltung des Zufalls – ergeben.


Erheblich zur Verbreitung von Verschwörungstheorien beigetragen hat das Internet, genauer die sozialen Medien. Denn Facebook, Youtube und Co. haben der Verbreitung von Verschwörungstheorien jahrelang Vorschub geleistet, indem sie mit Ihren Auswahlalgorithmen den Nutzer:innen immer weitere Posts und Videos mit ähnlichen Inhalt vorgeschlagen haben, um sie möglichst lange auf der Plattform zu halten und ihnen so möglichst viel Werbung zeigen zu können.
Spannend ist das Gespräch der Autorinnen mit dem Geschäftsführer von Wikimedia Deutschland und einem ehrenamtlichen Wikipedianer: Denn die Wikipedia hat kaum Probleme mit Veschwörungsgläubigen – und wenn gehen die von Ihnen manipulierten Artikel nie online bzw. werden nach kurzer Zeit wieder korrigiert.
Das gelingt der Wikipedia, weil sie keine kommerziellen Interessen verfolgt und keine Werbung schaltet. Die Wikipedianer haben nur ein Interesse: Eine möglichst umfassende Sammlung des menschlichen Wissens zusammenzutragen.
Die Internetgiganten nutzen Verschwörungstheorien für ihr Geschäftsmodell, aber sie können auch selbst das Geschäftsmodell sein: Sie sind ein riesiger Markt, auf dem Millionen, wenn nicht Milliarden umgesetzt werden. Es gibt sogar Verschwörungstheretiker:innen, die ihren Anhänger:innen das zur Verschwörung passende Produkt gleich ihrem Online Shop anbieten; dieser Verschwörungstheoretische one stop shop macht deutlich: Bei Verschwörungstheorien stehen kommerzielle Interessen oft im Vordergrund.
Alternativ können Verschwörungstheorien einen politischen Hintergrund haben; sie eignen sich zur Mobilisierung der eigenen Anhänger, aber auch zur Abgrenzung gegen andere.
Hervorzuheben ist, dass die Autorinnen dem Buch ein Kapitel über die Corona-Verschwörungstheorien angefügt haben. Dieses Kapitel – das eher ein Anhang ist – zeigt recht gut auf, wie Verschwörungstheorien in einer unklaren Lage von einem großen Publikum rezipiert und zunächst auch als Erklärungen akzeptiert werden – zumal die Wissenschaft für ihre Antworten ein bisschen Zeit brauchte. Würde man das Kapitel bis zum heutigen Tag fortsetzen, würde man aber auch sehen, dass die wissenschaftlichen Erkenntnisse inzwischen die Verschwörungstheorien an vielen Stellen zurückgedrängt haben.

Am Ende hat mich das Buch ein wenig ratlos zurückgelassen: So viele gute Ansätze auf der einen Seite – und doch machen die Autorinnen daraus so wenig. Da wo sie mit Empathie und Mitgefühl über das Schicksal von Verschwörungsgläubigen und ihren Angehörigen berichten hat das Buch echte Stärken. Meiner Meinung nach hätte dieser Teil erheblich mehr Raum verdient, denn hier sind interessante Fragen offen geblieben, z.B. wie es sich anfühlt an Verschwörungen zu glauben oder als Kind von Verschwörungsgläubigen aufzuwachsen. Zwar werfen die Autorinnen diese Fragen auf, leider gehen sie Ihnen dann aber nicht nach.
Da wo die Autorinnen Erklärungen liefern wollen liest sich das Buch zu häufig wie eine Kompilation von psychologischen Studien und im Netz verbreiteten Verschwörungstheorien; ältere Literatur aus der Philosophie und den Geschichtswissenschaften wird ebenso wenig rezipiert, wie neuere Literatur aus den Neurowissenschaften. Die Folge ist: Die Erklärungen bleiben schwankend.
Ich hätte mir von Nocun und Lamberty weniger erklärende Passagen gewünscht und stattdessen mehr über diejenigen, die Ihnen am Herzen liegen: Die Menschen hinter den Verschwörungen.

Anmerkungen

Das Bild zu diesem Beitrag stammt aus den Wikimedia Commons und wurde dort unter einer Creative Commons-Lizenz als gemeinfrei veröffentlicht; die genaue Bildquelle findest du [hier].

1 Diese Anmerkung bezieht sich auf das Buch The Hitler Conspirancies von Richard J. Evens, eschienen bei Oxford University Press; eine Deutsche Übersetzung ist aktuell nicht verfügbar. Eine umfangreiche Besprechung von Geoffrey O`Brien wurde unter dem Titel Hitler in Antartica im New York Review of Books am 14. 01.2021 veröffentlicht.

2 Nebenbei sei bemerkt, dass dies auch ein wiederkehrendes Problem der Wissenschaften ist: Es wird eine Beobachtung aufgrund des herrschenden Theorie für irrelevant erklärt – später stellt sich heraus, dass diese Beobachtung alles andere als irrelevant war, sondern der Ausgangspunkt für eine neue, verbesserte Theorie.

3 Was ein weiteres Argument dafür ist bei dem Begriff „Verschwörunsgtheorie“ zu bleiben; denn auch wissenschaftliche Theorien dienen dazu die Komplexität der Realität zu reduzieren und die Welt so überhaupt erst erforschbar zu machen.

4 Teile der Überlegungen aus diesem und dem vorhergehenden Absatz stammen aus Why Conspirancy Theories Are So Alluring von Richard A. Friedmann, erschienen im Blog des New York Review of Books am 12.02.2021.

5 Friedmann, selbst praktizierender Psychiater, schildert a.a.O., dass er häufiger von unheilbar erkrankten Krebspatienten gefragt werde, was sie falsch gemacht bzw. womit sie die Krankheit verdient hätten.