Miss Merkel – Mord in der Uckermark
von David Safier
Rowohlt Verlag, 315 S., 16,00 €
Mit dem Titel seines Romans Miss Merkel – Mord in der Uckermark streift David Safier gleich drei Subgenres des Kriminalromans: Mit der Erwähnung der Uckermark den Regionalkrimi, mit der Anspielung auf Miss Marple dem klassischen Whodunit und mit der Wahl seiner Ermittlerin – nämlich Angela Merkel, zum Zeitpunkt der Romanhandlung im Jahr 2022 Altbundeskanzlerin – das recht neue Subgenre des Celebrity-Krimis.
Sieht man genauer hin, stellt man fest: Ein Regionalkrimi ist Miss Merkel überhaupt nicht. Der Hauptort der Handlung – Klein Freudenstadt am Dumpfsee – ist ausgedacht, und auch über die Uckermark erfährt der Leser wenig; anstatt die Landschaft zu beschreiben, teilt Safier mit, sie „war auf jene unscheinbare Art und Weise lieblich, die genau nach ihrem Geschmack war.“ – Eine Beschreibung, in der der Leser, je nach persönlicher Neigung, die Uckermark wiedererkennen mag – oder die Lüneburger Heide, oder die Bayrischen Alpen.
Auch reale Orte beschreibt Safier nicht: Als Angela zum Beispiel zur gerichtlichen Leichenschau nach Templin fährt, hält Safier sich nicht mit Lokalkolorit auf; stattdessen beschreibt er Angelas Dienstwagen: „das günstigste und damit auch kleinste E-Auto, das in Deutschland auf dem Markt war.“
Das Fehlen von Lokalkolorit ist das eine, aber bei genauerem Hinsehen wirkt Klein Freudenstadt – ein Ort mit weniger als 10.000 Einwohnern – eher wir ein hippes Bremer Szeneviertel (falls es sowas gibt): Da gibt es eine Gin-Bar, einen Markt mit zehn Ständen, an denen zudem Bio-Obst und Bio-Fleisch angeboten wird und im Dorfkrug steht Roibos-Karamell-Tee auf der Getränkekarte.
Wagt man dazu noch einen Blick auf die Landkarte wird die erzählte Welt noch unglaubwürdiger: Die gerichtliche Leichenschau zum Beispiel lässt Safier im Krankenhaus in Templin spielen; das gibt es zwar, aber das größereKlinikum im Landkreis Uckermark befindet sich in Schwedt.
Überhaupt ist die Leichenschau – das Angela daran teilnehmen darf, scheint mir noch am wenigsten zu rügen – bemerkenswert: Weder scheint der Safier zu wissen, dass eine gerichtliche Leichenschau von einem Rechtsmediziner (und nicht einem Pathologen) durchgeführt wird, noch, dass hier das vier Augen Prinzip gilt und zwei Ärzte anwesend sein müssen.*
Der Roman ist als klassischer Whodunit angelegt: Gutsherr Phillip von Baugenwitz wird nach einen Weinfest vergiftet in seinem Weinkeller aufgefunden; weil Safier es skurril mag (und vielleicht auch, weil es sich gut im Klappentext macht) lässt er den Toten eine Ritterrüstung tragen.
In dieser Rüstung war auch schon sein Vorfahr Balduin von Baugenwitz im 17. Jahrhundert vergiftet worden; Täterin damals war seine Ehefrau Adelheid, die das Zusammenleben mit dem „irre grinsenden Ritter […], der triumphierend auf einem Haufen Leichen stand“ verständlicherweise nicht länger ertragen konnte.
Für die Polizei ist die Sache eindeutig: Weil der Freiherr fast pleite war, weil er in einem verschlossenen Raum gefunden wurde und weil er das verwendete Gift hätte schmecken müssen, kommt sie zu dem Schluss: Selbstmord.
Für Angela ist die Sache ebenso eindeutig: Weil vor dem Freiherrn ein Blatt liegt, auf das er ein „a“ geschrieben hat, glaubt Angela, dies müsse ein Hinweis auf den Täter sein und kommt zu dem Schluss: Mord.
Und genau hier liegt die Schwäche der Story: Zwar hält Safier sich an Father Knox Decalogue und belässt es – trotz der sehr passenden Umgebung – bei nur einem Geheimgang, aber die entscheide Frage – Warum Joachim von Baugenwitz ein kleines „a“ auf den Zettel geschrieben hat, wenn er doch einen Namen schreiben wollte und kein großes – wird von der Detektivin über zweihundert Seiten hinweg munter ignoriert.
Stattdessen macht Angela sich auf die – mehr oder weniger emotionale – Suche nach einer Freundin, „denn Angela hatte in ihrem Leben noch nie eine beste Freundin gehabt.“
Gar nicht als potentielle Freundin in Betracht zieht Angela die aktuelle Frau des Freiherrn Alexa von Baugenwitz, eine ehemalige Schauspielerin, die eigentlich nur möchte, dass ihr Mann das Schloss verkauft und mit ihr nach Berlin zieht. Weil Angela sie zunächst für die Erbin des Freiherrn hält, ist sie hochverdächtig.
In den Augen der Polizei wird das später durch ihren (vermeintlichen) Selbstmord erhärtet – denn wie weiland Adelheid von Baugenwitz springt sie vom Kirchturm. Angela glaubt auch hier nicht an einen Selbstmord: Denn Alexa war just im Moment ihres Todes mit Angela in der Kirche verabredet, um ihr den entscheidenden Hinweis zu geben.
Bestenfalls für einen kurzen Moment kommt als Freundin die geschäftstüchtige Ex-Frau des Freiherrn, Katharina von Baugenwitz, in Betracht; die führt trotz der Scheidung noch die Geschäfte des Familienunternehmens – und auch für die Finanzmisere der Familie hat sie eine einfache Lösung: Sie möchte vom Staat die Rückgabe derKunstschätze der Familie von Baugenwitz verlangen – die haben immerhin einen Wert von rund 200 Millionen Euro. Der Haken: Die Nazi-Verstrickungen von Philipps Urgroßvater, der „zu seiner Zeit […] großen Einfluss auf Politik und Gesellschaft hatte,“ müssten zuvor aus der Welt geschafft werden; was dank eines gefälschten Gutachtens ein Kinderspiel wäre. Dennoch zögert der Freiherr.** Das Problem ist nur: Ein Motiv ist das nicht, denn die Ex-Frau geht bei Philipps Tod allemal leer aus.
Keine Kandidatin für die Rolle als beste Freundin ist Pia, die Tochter von Katharina von Baugenwitz. Die Stief-Tochter des Freiherrn macht als Instagram-Influencerin angeblich 40.000 € im Monat, indem sie die freche Göre aus gutem Haus spielt und für ihre Follower über das herrschaftliche Landleben in der Uckermark lästert. Zwar ist sie auf Geld aus und glaubt, dass der Wert eines Menschen sich in Geld bemessen lässt; aber als Motiv würde das nur taugen, wenn sie vom Tod des Freiherrn auch profitieren würde.
Als beste Freundin scheint da schon eher die Marktbeschickerin und Bäuerin Angela in Betracht zu kommen – jedenfalls bis Angela feststellt, dass sie nicht nur die Kreisvorsitzende der AfD ist, sondern auch gegen die schwarze Fremdenführerin Marie hetzt. Auch als Verdächtige scheint sie wenig geeignet: Zwar möchte sie verhindern, dass der Freiherr Schloss und Land verkauft, aber ob das durch den Tod des Freiherrn zu erreichen war, ist mehr als fraglich, zumal da sie befürchten müsste, dass Alexa die Erbin sein könnte.
Die Polizistin Lena zieht Angela zwar nicht als beste Freundin in Betracht, dafür möchte sie gern ihren Leibwächter Mike mit ihr verkuppeln – was auch gut zu gelingen scheint. Allerdings hätte Lena ein Motiv: Der Freiherr hatte sie bei einem Jagdunfall angeschossen und dadurch ihre Hoffnungen auf eine Olympia-Teilnahme als Bogenschützin zerstört.
Als beste Freundin – und leider auch als Mörderin – am ehesten in Betracht zu kommen scheint die schwangere Fremdenführerin Marie: Denn der Vater ihres ungeborenen Kindes soll angeblich der Freiherr sein, der sich aber weigert das Kind anzuerkennen.
Angela wird im Laufe des Romans mütterliche Gefühle für die Hartz IV-Empfängerin entwickeln, ohne aber zu erkennen, dass ihr Sohn definitiv einer der Erben des Freiherrn ist.***
In ihrer gefühlvollen Art zu ermitteln ist Angela nicht etwa eine Miss Marple, die immer von allen das Schlimmste annimmt, und auch kein Sherlock Holmes, für den Menschen austauschbare Größen sind, sondern weit eher eine Figur wie Derrick, der mit Verständnis für sein Gegenüber, aber ohne große kriminalistischen Fähigkeiten seine Fälle löst – und damit der Inbegriff von detektivischem Mittelmaß ist.****
Das Subgenre des Celebrity-Krimis ist einerseits nicht ganz neu, mindestens S. J. Bennett hat ihn mit Ihrer Her Majesty The Queen Investigates-Reihe schon vorher aufgegriffen, aber durchaus originell – und in einigen Szenen setzt Safier das auch gut um, zum Beispiel wenn er über Angela sagt: „Sie war geübt darin, eitlen Männern diplomatische Halbwahrheiten zu sagen.“ Als die Polizei über ihre Mordthese lächelt, schreibt Safier: „Wie alle Männerlächeln zuvor ignorierte sie auch dieses.“ – Nur schade das Kommissar Hannemann so überhaupt keine Ähnlichkeit mit Friedrich Merz hat.
Ein andere Quelle von – gelegentlich etwas flachen – Witzen ist Angelas Mops mit Namen „Putin“ – über den Angela, seine Häufchen wegräumend, sagt: „Ich bin es gewohnt Putins Mist aufzuräumen.“
Doch trotz dieser lichten Momente bleibt Safiers Angela zweidimmensional. Sein Versuch sich wirklich in Angela Merkel hineinzudenken, bleibt für mich in einer manchmal augenzwinkernden, aber zu oft klischeehaften Hommage an die scheidende Bundeskanzlerin stecken.
Noch schlimmer freilich ergeht es Ihrem Ehemann Achim: den verwandelt Safier vom emeritierten Professor in einen Düffeldoffel erster Ordnung, der sich sein Leben lang unter die Karrierebedürfnisse seine Frau untergeordnet hat und dessen größter Wunsch der Rückzug in die Uckermark zu einer Partie Scrabble und einer Tasse Roibos-Karamell-Tee ist. Ob das wirklich auch nur für eine Sekunde der heimliche Wunsch des realen Joachim Sauer gewesen ist, darf man zumindest bezweifeln.
„Eine neue Aufgabe?“ – Diese Frage schrieb Altbundeskanzler Helmut Schmidt im Jahr 1983 auf ein ausgeschnittenes Impressum der Wochenzeitung Die Zeit; genauer: das erste Impressum in dem er als Herausgeber genannt wurde.*****
Wie für jeden Bundeskanzler vor ihr wird sich im nächsten Jahr auch für Angela Merkel die Frage stellen, was sie mit dem Rest ihres Lebens anfangen möchte; ungefähr in demselben Alter wie seinerzeit Schmidt wird sie eine neue Aufgabe brauchen.
Selbst in dem unwahrscheinlichen Fall, dass sie dafür eine Karriere als Amateur-Detektivin in der Uckermark in Betracht ziehen sollte, wird sie davon nach der Lektüre von Safiers Miss Merkel Abstand genommen haben. Wenn sie in ihr Exemplar von Safiers Roman – ähnlich wie Schmidt – eine Notiz gemacht haben sollte, würde sie gewiss lauten: „Keine neue Aufgabe!“
Anmerkungen:
Das Bild zu diesem Beitrag stammt aus den Wikimedia Commons und wurde unter folgenden Lizenzangaben veröffentlich: Welfra, Berlin-Charlottenburg, Birkenwerder, Brandenburg – Boddensee (Zeno Ansichtskarten), als gemeinfrei gekennzeichnet, Details auf Wikimedia Commons
* Zuschauer des Tatorts Münster ahnen: Dr. Silke Haller – bekannt als „Alberich“ – ist nicht nur der Sidekick von Professor Börne.
** Ähnlichkeiten mit lebenden Adelsgeschlechtern sind an dieser Stelle sicherlich rein zufällig und nicht von Safier beabsichtigt. 😉
*** Nebenbei bemerkt müsste Angela Merkel auch um diese Tatsache wissen: Denn erst im Jahr 2009 – und damit in Ihrer Amtszeit – wurde die (nur noch in teilen bestehende) Unterscheidung zwischen ehelichen und unehelichen Kindern im Erbrecht vom Bundesverfassungsgericht endgültig und vollständig beseitigt.
**** Die Charakterisierung von Derrick lehnt sich an Umberto Ecos Text Derrick oder die Leidenschaft für das Mittelmaß von 1995 an.
****** Den Beitrag mit dem Titel Eine neue Aufgabe? im Blog der Bundeskanzler Helmut Schmidt Stiftung findest du [hier].