Die Druckmacher – Wie die Generation Luther die erste Medienrevolution entfesselte
von Thomas Kaufmann
C.H. Beck, 350 S., 28,00 €
Hoch stehende Teile hinterlassen in Ton, auf Papyrus, Pergament und Papier einen Abdruck; diese im Grunde banale Tatsache ist seit vielen Jahrtausenden bekannt, Siegelwalzen und Stempel werden seitdem benutzt.
Die Erfindung des Buchdrucks machte diese Technik flexibler: „Im Kern bestand Gutenbergs Idee darin, Texte von ihren kleinsten Bestandteilen – den sechsundzwanzig Buchstaben des lateinischen Alphabets – her zu verstehen und daraus ihre serielle Reproduktion zu entwickeln.“
Um das zu erreichen, nutzte er eine Reihe anderer Fertigkeiten: Die Gusstechnik für Bleilettern schaute er sich bei den Goldschmieden ab, geeignete Pressen fand er bei der Weinherstellung und Papier als günstiger Bedruckstoff war seit einigen Jahrzehnten in größeren Mengen verfügbar. Der Rest war Tüftelei: Gutenberg entwickelte eine schnell erkaltende Bleilegierung für die Lettern und ein Rezept für eine gut zu verarbeitende Druckerschwärze.
Nach einigen Versuchen mit kurzen Flugschriften begann im Jahr 1452 der Andruck seines Meisterwerke: der 42-zeiligen Bibel.
Obwohl sie das erste gedruckte Buch war, sah sie einer Handschrift noch erstaunlich ähnlich: Sie hatte viel Platz für farbige Hervorhebungen und prächtige Illustrationen, mit denen sie – je nach Geldbeutel der Kund:in – verziert werden konnte und ein Teil der Auflage wurde sogar auf kostbarem Pergament gedruckt.
Die Gestaltung des gedruckten Buches, mit Titelblatt, Überschriften und Inhaltsverzeichnis lag damals noch in der Zukunft – und war nicht zuletzt ein Ergebnis der wachsenden Konkurrenz unter den Buchdruckern.
Denn in dem halben Jahrhundert bis 1500 stieg die Zahl der Druckereien sprunghaft an: Die größten entstanden in Rom und Paris, während die Offizine im Heiligen Römischen Reich zahlreicher waren, aber kleiner blieben.
Die Drucker der Inkunabel-Zeit beschreibt der Religionshistoriker Thomas Kaufmann in seinem Buch Die Druckmacher – Wie die Generation Luther die erste Medienrevolution entfesselte nicht nur als Handwerker, sondern zugleich als Künstler, Kaufleute und Intellektuelle. Ihre Offizine waren editorische Laboratorien, in denen nicht selten ganze Texte entstanden – und unmittelbar in Druck gingen.
So verfasste Erasmus von Rotterdam seine Adagia, eine Sammlung antiker Sprichwörter, im Jahr 1508 im Offizin des berühmten venezianischen Druckers Aldus Manutius; dabei profitierte er von den guten Kontakten seines Druckers: „Mit Aldus verbundene Gelehrte brachten Handschriften herbei, die Erasmus nützlich waren. Der Drucker selbst stellte seine reichhaltige Bibliothek zur Verfügung.“
Für den Vertrieb ihrer Bücher konnten die Drucker auf bewährte Vertriebsstrukturen für Handschriften zurückgreifen und diese erweitern. Mit der Frankfurter Buchmesse entstand Ende des 15. Jahrhunderts der zentrale Treffpunkt von Buchproduzenten und -interessenten aus ganz Europa. „Die Buchdrucker produzierten vielfach auf den Frankfurter Messetermin hin, brachten große Teile ihrer Produktion mit, verkauften sie weiter oder tauschten sie gegen Druckerzeugnisse ihrer Kollegen.“
Um die ersten Offizine und die Buchmesse entstand die humanistisch geprägte Kultur der „Männer des Buches“. Deren Bildungsideal war der homo trilingus, der Latein, Griechisch und Hebräisch beherrschte. Durch den Buchdruck wurde es möglich, sich diese und andere Kenntnisse autodidaktisch anzueignen. „Das gedruckte Buch ermöglichte die Automatisierung des Bildungsprozesses.“
Schon bald hatte es auch Folgen auf die Wissensvermittlung an den Universitäten: Die Studenten mussten mehr selber lesen – an den Universitäten konnte das Gelesene nun ausführlich besprochen und analysiert werden. „Insofern trug der Buchdruck mittelbar zu einer Intensivierung der persönlichen Aneignung gelehrter Inhalte und des diskursiven Umgangs mit ihnen bei.“
Für die Humanisten waren Bücher vor allem ein Medium, um antike Werke zu verbreiten, damit sie nicht erneut verloren gehen konnten. Außerdem begannen sie die Texte von Zusätzen und Fehlern zu bereinigen, die sich beim wiederholten Abschreiben im Laufe der Jahrhunderte eingeschlichen hatten.
Gleichzeitig waren Bücher für sie Objekte der Begierde. Sie wurden gesammelt, getauscht, geliehen – und manchmal nicht zurückgegeben. „Sich wegen des Erwerbs von Büchern zu verschulden, galt nicht als unehrenhaft, ja war nicht unüblich.“
Diese Entwicklung war auch im Interesse der Drucker: Neue, sorgfältig edierte Ausgaben klassischer Texte versprachen in dieser Atmosphäre einen sicheren Absatz; denn der Druck eines Buches war ein langfristiges, sehr kapitalintensives und daher risikoreiches Geschäft.
Für das Auskommen der Drucker waren zugleich Brotdrucke, wie kurze Schriften, Gesetzestexte und Akzidenzien wichtig, wozu auch Ablasszettel zählten. „Der Ablassvertrieb brachte den Buchdruck in Schwung und förderte den Ausbau einer typographischen Infrastruktur.“
Für den Kirchenhistoriker Kaufmann ist die Reformation die entscheidende Phase der ‚ersten Medienrevolution‘; entsprechend ausführlich behandelt er sie. Er beschreibt sie als die erste in großem Stil über gedruckte Medien ausgetragene Debatte der Geschichte.
Dabei verfolgten Luther und die anderen Reformatoren ein durch die Möglichkeiten des Buchdrucks und die Ideen der Humanisten geprägtes Anliegen: Sie wollten die Bibel dem Laien zugänglich machen und es ihm ermöglichen an theologischen Diskussionen teilzuhaben.
Der publizistische Erfolg Martin Luthers war ein wesentlicher Baustein für das Gelingen der Reformation; denn sogar Papst und Kaiser schafften es nicht, Luther mit bis dahin konventionellen Mitteln, wie der Exkommunikation oder der Verbrennung seiner Bücher und Schriften, mundtot zu machen. Im Gegenteil: Die Bücherverbrennungen führten dazu, dass Luther noch mehr seiner Schriften unters Volk brachte.
Den Wormser Reichstag beschreibt Kaufmann als das erste Medienevent der Geschichte: Es gelang Luther nicht nur, seine Verteidigungsrede binnen kürzester Zeit gedruckt in Umlauf zu bringen, sondern es kursierten gleichzeitig viele weitere Berichte über seinen Auftritt vor dem Reichstag. „Im Zuge der wuchtigen Publikationslawine im Zusammenhang mit dem Wormser Reichstag wurde es üblich, den dem Kaiser gegenübertretenden Luther auch bildlich hervorzuheben.“
Die Kleinteiligkeit des Heiligen Römischen Reichs verhinderte wirksame Zensurmaßnahmen – und so publizierten im Lauf des 1520er Jahre immer mehr Laien ihre Auffassungen in Flugschriften.
Doch das hatte auch negative Folgen: Manche Schriften, wie die Die zwölf Artikel der schwäbischen Bauern, verbreiteten sich schnell und so wurde aus einer regionalen Revolte eine reichsweite Bewegung, die einen blutigen Krieg auslöste.
Kaufmann wählt in seinem Buch bewusst einen weiten Blickwinkel auf das, was er ‚erste Medienrevolution‘ nennt. Er meint damit nicht nur die Erfindung des Buchdruckes, sondern vor allem deren Folgen. Deswegen entfesselten seiner Meinung nach die ‚printing natives‘ der Generation Luther die Revolution – und nicht die Generation Gutenberg.
Diese Bezeichnung ist etwas unglücklich. Selbst Kaufmann scheint sie ein gewisses Unbehagen zu bereiten; denn er fragt sich: „Verstellt der Begriff Revolution nicht die Sicht auf die gleitenden Übergänge, die langen Kontinuitäten und das Ineinander von Manuskript- und Druckzeitalter, Print- und Digitalkultur?“
Mir scheint dieses Unbehagen leicht auflösbar: Ich würde vorschlagen nur die Erfindung des Buchdrucks selbst ‚Revolution‘ zu nennen; denn Gutenbergs Erfindung war es, die das Jahrhunderte alte Paradigma der handschriftlichen Reproduktion von Texten erschütterte und in den folgenden Jahrzehnten durch ein Paradigma des gedruckten Textes ersetzte. Als Gedrucktes immer weiter verbreitet wurde, führte das neue Paradigma zu gravierenden kulturellen, gesellschaftlichen und politischen Umwälzungen.*
Die Wahl des Blickwinkels mag auch einem weiteren Erkenntnisinteresse Kaufmanns geschuldet sein; der Frage: „Erwachsen aus der Einsicht in die zunächst sukzessiv einsetzende , dann umfassende Veränderung infolge der Verbreitung der Schwarzen Kunst Erkenntnisse, die Orientierungshilfen in unserer Gegenwart bieten können?“
Und tatsächlich, die ein oder andere Folge des Buchdrucks kommt dem heutigen Leser, ganz gleich, ob er ‚digital native‘ oder ‚digital immigrant‘ ist, erstaunlich vertraut vor. Das wird daran liegen, das Buchdruck und Digitalisierung eine zentrale Gemeinsamkeit haben: Sie beschleunigen und intensivieren den Kommunikationsprozess – und da, wo Menschen leichter in Kontakt kommen, blühen nicht nur Meinungsvielfalt, Wissenschaft und offener Diskurs, sondern auch Hetze, Hass und Lügen.
Damals waren die Pioniere des Buchdrucks „von der gemeinsamen Überzeugung […] getragen, dass die Wahrheit sich am Ende durchsetze.“ Indem Kaufmann ein viel ambivalenteres Bild dieser Zeit zeichnet, erschüttert er zugleich den verbreiteten Glauben, dass dies auch für die Digitalisierung gelte.
Zwischenüberschrift
Der Verlag C. H. Beck hat mir ein kostenloses Rezensionsexemplar dieses Buches zur Verfügung gestellt. Vielen Dank!
Das Bild zu diesem Beitrag stammt aus den Wikimedia Commons und wurde unter folgenden Lizenzangaben veröffentlich: anonym, Men working at a printing press, proofing copy, inking, and Wellcome V0023786, CC BY 4.0
* Ich verwende den Begriff ‚Revolution‘ hier im Sinne vom Thomas S. Kuhn und seinem Buch Die Struktur wissenschaftlicher Revolutionen.